Wie Du eine harte Krise meisterst
Wie Du eine harte Krise meisterst und eine Intuition dafür bekommst, in engen Situationen nicht trügerischen Instinkten nachzugeben.
Sebastian Berlein ist Social-Solopreneur. Er baut u.a. mit der Vanilla Campaign ein Handelskonzept auf und bringt mexikanische Vanilleanbauer direkt mit Kunden in Deutschland zusammen. 2016 gewann er für sein Konzept auf dem Entrepreneurship Summit in Berlin den 1. Preis bei Gründen-Live. Er verkauft sowohl an Endkunden wie auch an qualitätsbewusste Hersteller, wie z.B. Eismacher.
2017 kam er mit seinem jungen Geschäftskonzept prompt in eine schwere Krise. Wir fragten, was passiert ist und vor allem, wie er diese Krise überstanden hat.
Hallo Sebastian. Du hast Mitte diesen Jahres die Information bekommen, dass die Vanille, auf der Dein Geschäftskonzept basiert, nicht mehr in ausreichender Menge im Markt vorhanden ist. Das stellte Dein gesamtes Geschäftskonzept in Frage. Was war das für eine Krise?
Die Information kam Mai 2017, hatte sich aber schon 2016 angedeutet. Es ging um Ernteausfälle in Madagaskar. Das zog eine starke Preisdynamik und weltweite Spekulation nach sich.
Sowohl in Mexiko als auch in Madagaskar ging die Ernte nach unten und damit der Preis nach oben.
Weltweiter Ernteausfall an Vanille bedeutet: Madagaskar bestimmt den Marktpreis. Ich wusste, da kommt etwas auf uns zu. Alle dachten: Okay, 2016 war der Preis schon hoch, was kommt jetzt? Und dann plötzlich, in nur sechs Monaten, war Vanille teurer als Silber. Der Einkaufspreis lag bei 500 bis 600 US-Dollar pro Kilo.
Der Preis war für Dich unerreichbar?
Ja. Die Schwierigkeit besteht darin, einen solchen Preis zu vermitteln. Irgendwann steigen natürlich die mittelständischen und kleinen Betriebe aus. Ich stand sofort vor mehreren Problemen: Wie halte ich meine Kunden bei einem so hohen Markt-Preis? Kann ich überhaupt zu dem Preis einkaufen? Kann ich andererseits zu dem Preis wieder verkaufen? Wenn ich Ware zu teuer einkaufe und sie nicht mehr losbekomme, gehe ich ins Risiko, Pleite zu gehen.
Wie hast Du diese Krise erlebt und was war Dein Vorgehen in den ersten Tage, Stunden, Wochen?
Das war eine sehr schwierige Ausgangslage, weil ich nicht das Kapital hatte, um den Preis mitzugehen und zweitens nicht die Vertriebsstruktur, um mich einfach durch viele neue zusätzliche Verkäufe schnell wieder zu rekapitalisieren.
Was war Deine Lösung?
Die Lösung war, inne zu halten. Ich habe mir überlegt: Was ist der schlimmste Fall und wie kann ich diesen schlimmsten Fall im besten Falle verhindern? Der schlimmste Fall: Ich habe keine Vanille mehr und kann meine Kunden nicht mehr beliefern. Das war zunächst eine schlimme Vorstellung.
Ich habe alles durchgerechnet. Was habe ich im Lager? Reicht das, um noch durch die Saison zu kommen? Und habe mich für eine konservative Strategie entschieden. Also nicht auf Risiko den hohen Preis mitzugehen. Ich habe Schritt für Schritt die großen Angebote aus dem Sortiment genommen und kleinteiliger gedacht.
Du hast also nicht neu eingekauft, sondern hast Deinen Abverkauf verlangsamt.
Ja. Ich habe eine Liste gemacht: Was habe ich noch? Habe dann noch ein paar Sachen zu einem fairen Preis an ein paar Eismacher verkauft. Damit kam ich mit einem reduzierten Angebot durch die Sommersaison. Dann kommt meistens Pause und dann die Wintersaison. Dann habe ich neue Preise festgelegt und gesagt: Okay, ich habe im Stock noch so und so viel. Das sind, wenn ich nur drei Schoten im Pack verkaufe, so und so viele Kunden, die ich bis April, Mai zur nächsten Ernte halten kann. Das Schlimmste was passiert: Es werden mehr Kunden und ich bin irgendwann ausverkauft. Aber diesen Zeitpunkt strecke ich so weit wie möglich nach hinten.
Entscheidend war, dass ich den schlimmsten Fall neu bewertet habe: Ist es wirklich so schlimm, wenn ich einmal ausverkauft bin? Meine neue Antwort: Nein, ausverkauft sein ist gut. Das verkraften die Kunden auch einige Wochen. Das war dann die Lösung. Diese Neubewertung hat ein bisschen gedauert. Zwei Wochen, bis ich das verstanden habe.
Bis Du zu dieser Lösung gekommen bist, hattest Du einige unruhige Tage. Was waren die wichtigsten Dinge in dieser Zeit? Du hast gesagt „Innehalten“.
Zwei Dinge waren wichtig. Zum einen habe ich mir Rat geholt und mit ein, zwei Leuten, die Ahnung haben, darüber gesprochen und dann überlegt, wie ich die Risiken minimiere.
Zum Zweiten, habe ich die Erfahrung gemacht, dass man sich runterkühlen sollte, einen Spaziergang machen, sich wieder erden. Emotional sah das so aus, dass ich schwitzend vorm Laptop saß und ständig hoch und runtergerechnet habe. Es war einfach physisch anstrengend. Hier muss man seine emotionale Stabilität zurückbekommen, indem man versucht, sich selbst zu beruhigen. Das schafft nicht jeder.
Hast Du bei diesem „Innehalten“ etwas Neues gelernt?
Ich habe eine Intuition dafür bekommen, in manchen Situationen nicht trügerischen Instinkten nachzugeben. Das ist mit einem Startup wie beim Skifahren. Manchmal will man bremsen und instinktiv geht man nach hinten. Du wirst aber dann richtig schnell. Das ist das Schwierige bei kleinen Gründungen oder Solopreneuren, dass man intuitiv alleine etwas machen möchte, was überhaupt nicht stimmig ist. Diese falschen Schritte bringen einen dann genau in noch schlechtere Situationen.
Die Gefahr wäre gewesen, sofort zu handeln, sofort zu kaufen. Du hast gesagt, nicht handeln, lieber auf Zeit spielen.
Ja. Die Gefahr war, mein geringes Kapital einfach rauszuhauen. Aus der Panik heraus noch irgendwie einkaufen. Alle drängen Dich. Der Produzent macht ebenfalls seine Kommentare, „jetzt musst du dich entscheiden“. Diesem Druck habe ich mich bewusst nicht ausgesetzt und gesagt: Nein, ich entscheide. Und das war richtig. Ich habe dann das gesparte Kapital für ein zweites Produkt eingesetzt. Das launche ich in Kürze. Damit werde ich unabhängiger.
Du bietest zu den Schoten noch ein Premium Vanilleextrakt. Für viele einfacher anzuwenden, da als Flüssigkeit sofort einsetzbar. Damit hast Du in der Krise Dein Geschäftskonzept verändert und ab jetzt ein neues Produkt. Den Gedanken zu Deinem zweiten Produkt hattest Du schon vorher, aber er ist durch die Krise vermutlich verstärkt worden.
Die Krise katalysiert. Die notwendigen Denkprozesse, durch die man durch muss, werden eingeläutet. Wie ein Zug, der losfährt. Dann geht es darum, strategisch und taktisch gesehen sein Geschäftsmodell neu zu durchdenken und entsprechend anzupassen.
Wie ist es mit neuen Sicherheitsmechanismen? Machst Du jetzt, nach der Krise, irgendwas anders? Gibt es etwas, was Du als Sicherheitsmechanismen vorher nicht hattest und jetzt eingeführt hast?
Ich habe meine Rücklage erhöht. Von daher kann ich bei der nächsten Ernte auf jeden Fall einkaufen, denke aber, dass der Preis bis dahin fällt. Das Geld habe ich auf einem Geschäftskonto und fasse es nicht an. Das ist Projektgeld zur Absicherung. Diese Entscheidung steht bei mir fest. Dadurch kann ich entspannter Szenarien durchspielen, wenn es um Investitionen geht. Durch die Rücklagen habe ich mehr Möglichkeiten. Ich kann in Zukunft ein gewisses Risiko eingehen. Ich muss mir nur vorher klar sein, was passieren kann.
Ein zweiter wichtiger Faktor war, dass ich von der Vanilla Campaign noch nicht leben muss. Ich halte nichts davon, etwas zu starten und sofort davon abhängig zu sein. Ich bin finanziell nicht auf dieses Business Concept angewiesen. Meine Existenz hängt nicht daran. Das war in der Krise ein riesengroßer Vorteil. Das nimmt den Druck raus. Der schlimmste Fall wäre gewesen, dass ich Kunden verliere. Ich habe aber andere Einnahmestränge, die mich finanzieren.
Du folgst dem alten Bootstrapping-Modell. Du wirfst Dein Start-Kapital in den Topf und nimmst nichts raus, solange Du nicht musst, und lässt es wachsen.
Ja. In dem Fall schon. Es gibt andere Projekte, vor allem, wenn man mit anderen Leuten zusammenarbeitet, die müssen durchgerechnet werden. Da hast Du ständig feste Personen-Ausgaben. Bei der Vanilla Campaign habe ich aber als Solopreneur den großen Vorteil des absolut freien Handlungsspielraums bei den Finanzen. Meine Priorität ist, kein Minus zu machen. Damit kann es wachsen.
Erst mal Gratulation, dass Du so durch diese Krise gekommen bist und es die Vanilla Campaign weiterhin gibt. Kannst Du Deine Handlungsweise noch einmal zusammenfassen? Was würdest Du empfehlen, wenn jemand viel Geld verliert oder eine neue Information kommt, die sein gesamtes Geschäftskonzept infrage stellt?
Mein erster intuitiver Gedanke ist: Raus aus der existenziellen Dringlichkeit. Eventuell einen Job suchen, um den Druck rauszunehmen. Das ist mein erster Rat. Eitelkeiten vergessen. Den ganzen Kram. Back to the Basics. Arbeiten gehen. Stabilität kreieren und Ruhe aufbauen.
Dann innehalten. Sich hinsetzen, sauber die Zahlen durchrechnen. Worst Case Szenario. Wie kann ich das Worst Case Szenario verhindern? Best Case Szenario würde ich gar nicht machen. Einfach schauen, wie kann ich den Best Case im Worst Case machen. Am Ende, wenn man sich ein Panorama gebildet hat, auf die leise Stimme in sich hören. Nicht die Dominante, sondern die Leisere. Die ist meistens die, die richtig liegt.
Dieses Hören auf die innere Stimme, wie machst Du das, indem Du Dich hinsetzt und wirklich meditierst? Oder schreibst Du auf? Klebst Du Zettel an die Wand? Wie filterst Du diese Stimme aus Dir raus?
Ich habe keine esoterischen Guru-Techniken, davon bin ich kein Fan. Ich bin ein pragmatischer Typ. Ich schaffe in meinem Leben Optionen und Alternativen. Ich gehe zum Beispiel immer wieder ins Ausland, um mich nicht diesem sozialen Erklärungswahn auszusetzen. Ich schaffe Rückzugsräume, wo ich günstig leben kann. Die Devise: Emotional stabile Räume schaffen. Da reingehen, wieder klarkommen mit dem, was wichtig ist im Leben.
Und dann poppt bei Dir eine innere Stimme auf? Hast Du dann einen Tag, wo Du sagst, jetzt habe ich das Gefühl? Und erst, wenn Du das Gefühl hast, dann handelst Du?
Ja. Das sind ganz komische Momente. Ich habe das Gefühl, das mache nicht ich. Oft ist es so, dass durch das Abwarten und sich Beruhigen sich 50 Prozent selbst auflösen. Plötzlich kommt eine E-Mail rein: Zum Beispiel hat sich der Preis bereits geändert und Du merkst, wie gut, dass ich gar nicht gehandelt habe. Es lösen sich viele Dinge selbst auf. Du denkst, ah, okay. Es entsteht wieder die gewisse Leichtigkeit, mit der Du weitermachen kannst. Wenn ich den Worst Case entschärft habe, kann ich mit dem Rest mental umgehen. Das ist mein roter Faden, an dem ich versuche, entlang zu gehen.
Vielen Dank, Sebastian.
Das neue Produkt der Vanilla Campaign – Vanillearoma als Premium Vanilleextrakt – ist übrigens inzwischen hier zu bekommen.